Helmut Newton im Blick: Inszenierung, Macht und Körper im Museum für Fotografie

Vor einer Woche habe ich gemeinsam mit meiner Frau im Museum für Fotografie in Berlin eine Ausstellung mit Modefotografien von Rico Puhlmann besucht. Unsere Jahreskarte für die Staatlichen Museen zu Berlin gilt auch für dieses Haus, sodass wir bei unseren Aufenthalten in der Hauptstadt regelmäßig dorthin gehen. Die fünf großformatigen Aktaufnahmen im Treppenhaus lassen mich dabei an eine Diskussion im Bekanntenkreis über das Werk Helmut Newtons denken. Newton polarisiert: Seine Arbeiten provozieren ebenso wie sie faszinieren, und sie verdeutlichen eindrücklich, wie Inszenierung, Körperpräsenz und Macht ins Bild gesetzt werden.

SONNTAGS-BLOG

Reinhard Mokros

Das Museum für Fotografie in der Jebenstraße, unweit des Bahnhofs Zoologischer Garten in Berlin, wurde 2004 eröffnet. Es ist Sitz der Helmut Newton Foundation, die in den beiden unteren Etagen des Gebäudes seit Jahren erfolgreich die Dauerausstellung Helmut Newton’s Private Property sowie wechselnde Präsentationen zum Werk Helmut Newtons, seiner Frau Alice Springs und seiner Weggefährten zeigt [1]. Darüber hinaus beherbergt das Museum die Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek. Der Kaisersaal im zweiten Obergeschoss wird seit dem Umbau im Jahr 2010 für Wechselausstellungen zur Fotografie vom 19. bis zum 21. Jahrhundert genutzt [1].

Das Gebäude wurde 1908/09 als Kasino des Offizierskorps der Landwehr-Inspektion Berlin errichtet. 1950 erwarb es der Berliner Senat und ließ die kriegsbedingten Zerstörungen so weit beseitigen, dass 1954 die Kunstbibliothek sowie die Galerie des 20. Jahrhunderts darin untergebracht werden konnten. Letztere bildete später den Grundstock der Neuen Nationalgalerie. Ab 1994 nutzten das Museum Europäischer Kulturen und die Alte Nationalgalerie das Haus für Depots und Werkstätten.[1]

Bei meinen Besuchen im Museum für Fotografie erinnere ich mich häufig an eine Diskussion im Bekanntenkreis aus dem vergangenen Jahr. Auslöser war ein Foto von mir, das in Anlehnung an das Titelbild des Bandes Torsi / Torres Nus von Jeanloup Sieff [2] entstanden war. Der darin gezeigte weibliche Halbakt wurde zum Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung über die Darstellung des nackten weiblichen Körpers in der Fotografie.

Zusätzliche Schärfe gewann diese Auseinandersetzung durch den Verweis eines Gesprächspartners auf einen Artikel von Alice Schwarzer zu Helmut Newton in der Zeitschrift EMMA anlässlich der bevorstehenden Eröffnung des Museums für Fotografie in Berlin: In der Ausgabe Mai/Juni 2004 übte sie scharfe Kritik an der staatlichen Förderung des Hauses und charakterisierte Helmut Newton als „handwerklich versierten, künstlerisch jedoch unbedeutenden Fotografen“, dessen „Geringschätzung" im „Kunstmilieu“ ein "offenes Geheimnis“ sei. [3] Für die Förderung sei nicht die Qualität seines Werkes, sondern allein die Tatsache ausschlaggebend gewesen, dass Helmut Newton als Jude von den Nazis verfolgt wurde und ins Exil gehen musste. [3]

Für mich war es schwer nachvollziehbar, dass in der Diskussion Fotografien nackter Frauen im Allgemeinen und das Werk Helmut Newtons im Besonderen so vehement kritisiert und pauschal als frauenfeindlich eingestuft wurden. Die Inszenierung des nackten weiblichen Körpers wurde ausschließlich als Objektivierung und Instrumentalisierung der Frau gesehen.

Nach meiner Erinnerung fehlte es der damaligen Diskussion gänzlich an der Bereitschaft, sich differenziert mit dem Werk Helmut Newtons und dessen Bildaussagen auseinanderzusetzen. Das Museum für Fotografie bietet hierfür jedoch zahlreiche Anknüpfungspunkte. Besonders eindrücklich zeigt sich dies im repräsentativen Treppenhaus, an dessen Kopfseite fünf großformatige schwarz-weiß Fotografien nackter Frauen hängen. Die leicht von unten aufgenommenen Körper erscheinen monumental und selbstbewusst. Ihre Wirkung entfaltet sich insbesondere vor dem Hintergrund, dass an derselben Stelle einst die Porträts preußischer Offiziere präsentiert wurden. In dieser Gegenüberstellung lässt sich die Inszenierung der nackten Frauen als bewusstes Gegennarrativ zur Glorifizierung militärischer Macht verstehen.

Ein vergleichbares Spiel mit Inszenierung und Präsenz setzt Helmut Newton wenige Schritte weiter fort: Neben den Türen zum Ausstellungsraum befinden sich zwei großformatige Aufnahmen mit dem Titel „Sie kommen“. Sie zeigen identische Gruppen von vier Models, die auf die Kamera zulaufen. Auf dem „Dressed“-Foto tragen sie elegante, locker geschnittene Kleidung – chic, jedoch unauffällig. Auf „Undressed“ hingegen entfalten die nackten Frauen eine fast bedrohliche Präsenz: ihre gradlinige Bewegung, verschränkten Arme und in die Hüften gestützten Hände verstärken die monumentale Wirkung der Szene und verdeutlichen Newtons Inszenierung von Macht und körperlicher Präsenz.

Diese Beispiele illustrieren, dass eine gründliche Auseinandersetzung mit Helmut Newtons Werk nötig ist, bevor man vorschnelle Urteile wie „sexistisch, rassistisch und faschistoid“ (Schwarzer) fällt, und zeigen zugleich die Komplexität und Ambivalenz seiner Bildsprache auf. Ein Besuch im Museum für Fotografie lohnt sich daher nicht nur für Newton-Fans, sondern für alle, die sich für die Inszenierung von Körpern, Macht und Ästhetik in der Fotografie interessieren.

[1] https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/museum-fuer-fotografie/home/ (15.8.2025).

[2] https://www.amazon.de/Torsi-Torses-Nus-Jeanloup-Sieff/dp/3888147506 (15.8.2025).

[3] https://www.emma.de/artikel/teurer-newton-263333 (15.8.2025).